Alles nur geklaut?

Burghard Förster ist Pfarreileiter in Aarau

«Alles nur geklaut?» oder: Wie biblisch-kirchliche Erfindungen Einzug in das moderne Management gefunden haben, und wie wir sie als modernes Unternehmen schleunigst wieder entdecken und nutzen sollten.

Als Pfarreileiter erfahre ich in der Praxis immer wieder die Diskussionen um die Fragen, ob die Kirche ein Unternehmen ist, ob wir von Kunden reden dürfen oder von Klientel, Gästen, Nutzerinnen und Nutzer etc. Mittlerweile zählen zu unseren Kundinnen und Kunden schon lange nicht mehr «nur» Kirchenmitglieder.

Im Rahmen meiner Weiterbildung «Moderne Personal- und Organisationsentwicklung» wurde mir dann mehr und mehr deutlich, wie viel «Management» wir inhaltlich als kirchliche Organisation (Pfarrei) schon leben, umsetzen und als Teil unserer Kultur betrachten. Schlagwörter und Weisheiten wie «Der Mensch steht im Mittelpunkt», Customer Experience (Erfahrung der Kunden) als Ausrichtung der Unternehmenskultur oder die Fragen, ob in einem Unternehmen der Purpose (Sinn und Zweck) und das Engagement gegeben sind, sollte bei einer kirchlichen Organisation so slebstverständlich sein  wie «Wasser in den Rhein giessen». Sollte. Denn es ist nicht die Frage, ob der Sinn und Zweck der Kirche existiert, das ergibt sich bereits aus der Gründung durch Jesus von Nazareth in den Begriffen Reich Gottes oder Himmelreich. Dies ist Ausdruck des Sinns und Zwecks, der Zukunft und Gegenwart der Kirche als ein Beginn des Reichs Gottes auf Erden, das aber erst am Ende der Zeiten vollendet wird.

Aber ist uns als Unternehmen klar, wie dieser Sinn und Zweck umgesetzt und erreicht wird in einer Welt voller Unsicherheiten? Ein «Papst» im Bereich Changemanagement ist übrigens auch Theologe: Klaus Doppler, mit Studium an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom vor seinem Studium in Psychologie.

Welche Begriffe und Inhalte sind also mehr oder weniger biblisch-christlich begründetet, und wie wäre die Übersetzung ins Heute? Die folgende Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ist teilweise auch eine subjektive Auslegung. Aber sie kann allemal Inspiration sein für alle, die sich unverkrampft daran wagen, das Unternehmen Kirche/Pfarrei modern zu führen.

Changemanagement / Moderne Personal- und Organisationsentwicklung

Kirche

BGM (Betriebliches GesundheitsManagement)

Sabbatical ein aus der biblisch-christlichen Religion abgeleiteter Begriff für eine berufliche Auszeit

 

Sabbat resp. Sonntag, ein von Gott «geschaffener» Tag der Ruhe (1. Buch Mose / Genesis, Kap 1.)

Sabbatjahr oder Sabbat Zeit, bestimmte Zeit der Ruhe vgl. Buch Exodus / 1. Buch Mose, Kapitel 23, 10 f. und Deuteronomium / 5. Buch Mose, Kapitel 15, 12–15

Feiertage, Fastenzeit oder Exerzitien (Geistliche Übungen)
Das sind Unterbrechungen des Alltags, des Arbeitslebens und der Rhythmisierung von Jahr und Woche. Unterbrechung wird auch als eine der kürzesten Erklärungen verwendet, was Religion bedeutet. Allen Zeiten ist gleich, dass sie jeweils ganzheitliche Bedeutung haben, Körper, Geist und Seele soll sich neu ausrichten, zur Ruhe, zu sich kommen.

Change auf individueller und organisationaler Ebene

«Metanoia» wird vermehrt auch in der Changemanagement Literatur ver- und angewendet

Metanoia
Das Wort metanoia aus dem griechischen Alten Testament und dem griechischen Neuen Testament bedeutet wörtlich in etwa «Umdenken, Sinnesänderung, Umkehr des Denkens».

Es ist auch Teil einer Versöhnung und eines Neuanfangs nach Brüchen im Leben. Diese Haltung ist und sollte eine Grundhaltung als Kirche sein, nicht Nabelschau, sondern echte Auseinandersetzung mit eigenem Versagen und Gelingen, mit Brüchen, «alten Zöpfen» und einem «Es war immer so»-Denken.

Organisationsentwicklung

Reformation (Evang./reform. Kirche) «ecclesia semper reformanda» ist ein Grundgedanke des Zweiten Vatikanischen Konzils der Röm.-Kath. Kirche in den 1960er-Jahren. Beide Begriffe haben einen entscheidende Bedeutung in der Theologie- und Kirchengeschichte. Kirche ist immer wieder aufgefordert, ihre Botschaft mit den Zeichen der Zeit zu verbinden und in die entsprechende Kultur zu integrieren, damit sie aktuell verstanden wird.

Return of Investment

Was ist der Gewinn einer Investition?

Was ist unser Gewinn, wenn wir (Geld) investieren und uns engagieren als Mitarbeitende und Freiwillige?

Der Spirituelle-christliche Mehrwert, das heisst:

  • Sinn
  • Glauben in das Wirken Gottes durch unser Handeln
  • Hilfe für Menschen
  • Umsetzung der Botschaft des Evangeliums
  • Gottesbeziehung

Systemische Organisationsentwicklung bis zur Holacracy
(Organisationsformen / Firmen ohne Chefetage – ohne Hierarchie)

Katholische Soziallehre u.a. Subsidiaritätsprinzip: Dort, wo die Arbeit ist, werden auch die Entscheidungen getroffen.

Tauftheologie und Gottesebenbildlichkeit des Menschen: Jede getaufte Christin und jeder getaufte Christ hat Anteil an Jesus Christus und damit auch die Befähigung, im Sinne des Evangeliums zu handeln

VUCA-Welt

  • Volatilität
  • Unsicherheit
  • Komplexität
  • Ambiguität (= Mehrdeutigkeit)

Unser Unternehmen, unsere Kultur und Haltung als Mitarbeitende und Freiwillige bedenkt  und beinhaltet diese Gegebenheiten und begleitet Menschen darin.

  • Endlichkeit: Unsere Geschöpflichkeit ist endlich, begrenzt und von daher auch auf Gottes Erbarmen und Liebe angewiesen
  • Religion ist das Einüben im Umgang mit Kontingenz, insbesondere bei unvorhersehbaren Ereignissen wie Krankheit, Tod, Verlieben, Berufungserlebnisse.
  • Einheit in der Vielfalt / Vielfalt in der Einheit ist ein biblischer und christlicher Grundgedanke, den der Apostel Paulus im Brief an die Gemeinde in Rom mit dem Bild «Ein Leib und viele Glieder» deutet und auslegt. Ein Geist und verschiedene Gaben. Ein Haupt (Christus) und viele Glieder (Christinnen und Christen).
  • Die Mehrdeutigkeit ist auch Teil der christlichen Welt- und Gottesvorstellung, in dem Mensch sich einüben kann, dass selbst ewige Wahrheiten letztlich nicht eineindeutig zu erklären sind, sie sind Geheimnis. Ein Gott, der begriffen wird, ist nicht mehr Gott.