Bericht aus dem Pastoralraum Region Aarau

Abschrift des Vortrags von Samuel Behloul, gehalten an der Versammlung der Kreiskirchgemeinde Aarau vom 28. November 2023

Samuel Behloul ist Pfarreileiter in der Pfarrei St. Martin in Entfelden und seit 1. November 2023 Leiter des Pastoralraum Region Aarau.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich bringe Ihnen gute Botschaften. Sie bestehen darin, dass in unseren fünf Pfarreien hochmotivierte und mit Ideenreichtum begnadete pastorale Mitarbeitende unterwegs sind. Wir haben ein Foto gesehen mit Menschen, die zusammensitzen, die teilen, die sich begegnen. In unseren Pfarreien wird motiviert gearbeitet, Menschen begegnen sich, das pfarreiliche Leben funktioniert wunderbar, in den Pfarreien läuft es sehr gut. Und ich hoffe, dass das mit Blick auf die künftige Planung – wie wir mit den Mitteln, die offenbar zurückgehen, umgehen, wo wir sie investieren und einsetzen – berücksichtigt wird. Denn alles, was wir hier machen, dient der Ermöglichung des pfarreilichen, pastoralen Lebens.

Ich berichte Ihnen kurz, was uns im Bereich der Pastoral im zu Ende gehenden Jahr beschäftigt hat und was uns wichtig war. Allgemein gesprochen lässt sich die pastorale Arbeit als eine Art Seismograf, als Gradmesser für das bezeichnen, was draussen in der Gesellschaft passiert – egal, ob es um Individualisierung, Migration, Vielfalt von Lebensentwürfen oder um die kulturelle, religiöse, pluralisierende oder – allgemein gesprochen – um die gesamtgesellschaftliche Komplexität geht. Das alles wirkt sich schonungslos auf die Art und Weise aus, wie wir arbeiten und wie wir unsere Angebote ausrichten.

Menschen kommen mit sehr unterschiedlichen Ideen und Bedürfnissen auf uns zu. Im Bereich der Sakramente erhalten wir beispielsweise Anfragen wie «Können wir unser Kind in einer Baumhütte taufen lassen?» oder «Können wir unsere Oma beerdigen, ohne dass dabei das Wort Gott genannt oder aus der Heiligen Schrift gelesen wird?». Oder es werden kirchliche Bestattungen von aus der Kirche ausgetretenen Personen gewünscht.

Gerade bei Beerdigungen zeigt sich eine Konkurrenzsituation zu konfessionell neutralen Ritualbegleitern. Dieselbe Situation besteht auch bei Taufen mit Taufpaten, die aus der Kirche ausgetreten sind. Solche und ähnliche Situationen stellen uns vor die Frage, was machbar ist und welche pastorale Haltung wir als Pfarreileitende oder Mitarbeitende in den Pfarreien einnehmen können, müssen, sollen, dürfen.

Diese Entwicklung haben wir am 12. Mai dieses Jahres zum Thema des Pastoralbesuchs von Bischof Felix in unserem Pastoralraum gemacht. Der Besuch stand unter dem Leitsatz «wind of change – Heiliger Geist». Im Mittelpunkt der Diskussionen stand die Frage, wie Mitarbeitende und das Bistum einen Umgang finden können mit einer Gesellschaft, die einem tiefgreifenden Wandel ausgesetzt ist. In den Diskussionen hat sich gezeigt, dass in den grossen Herausforderungen auch Chancen liegen und dass diese Chancen auch genutzt werden. Es wird mehr Flexibilität gewagt, traditionelle Formen und Angebote werden immer wieder hinterfragt und an die Bedürfnisse von Menschen unterschiedlichen Alters angepasst. Gesamtgesellschaftliche Themen wie Umweltschutz, Soziales und Diakonie, familienfreundliche Angebote und Strukturen in den Pfarreien, religiöse Sozialisierung, Weitergabe des Glaubens – das alles rückt in den Fokus unserer pastoralen Arbeit und muss neu justiert werden unter diesen sich verändernden sozio-kulturellen Rahmenbedingungen.

Als Fazit kann man festhalten: Pfarreiteams sind, wie bereits eingangs gesagt, auf allen Ebenen motiviert und mit viel Kreativität unterwegs, und das trägt von Pfarrei zu Pfarrei sehr interessante Früchte.

Im zweiten Teil seines Pastoralbesuchs traf sich Bischof Felix zum Gespräch und zum Austausch mit den fünf Pfarreileitenden. Hier ging es vor allem um die Frage: «Wie schafft man den Spagat zwischen der als richtig, zeitgemäss, situationskorrekt empfundenen und notwendigen Praxis vor Ort einerseits, und den sich als zeitlos begreifenden kirchlichen Vorschriften, Reglementen und dem Amtsverständnis?». Der Spagat der Seelsorgenden besteht deshalb auch darin, einer grossen Bandbreite von Erwartungen vor Ort in der Pfarrei Genüge zu tun. Teile der Gläubigen in den Pfarreien sind beispielsweise immer noch verwurzelt in der Volkskirche, die es eigentlich nicht mehr gibt, andere sind zwar noch katholisch, aber identifizieren sich mit der eigenen Pfarrei kaum noch. Die einen halten an einem Priester zum Feiern der Eucharistie fest, die andern möchten sich davon lösen. Und nicht zuletzt vermischen sich aufgrund der Migration in ein und derselben Pfarrei viele Kirchenbilder, Einstellungen zur Sakramentalität und zu Amtsverständnissen. Das reicht von der Frage «Wie kann überhaupt eine Frau eine Pfarrei leiten?» bis hin zu «Wann werden endlich Frauen Eucharistie feiern dürfen?». Das sind alles Herausforderungen, denen wir in ein und derselben Pfarrei begegnen, und der innerkirchliche Dialog wird in Zukunft essenziell sein. Vergessen wir nicht: 40 Prozent unserer Mitglieder haben einen Migrationshintergrund.

Die Haltung des Bistums gegenüber diesen vielen verschiedenen Ansprüchen und Herausforderungen in den Pfarreien ist: Das kirchliche Handeln darf nicht «bewilligt» sein, es soll nachvollziehbar, sinnvoll, machbar und mit den Vorgaben kompatibel sein. Ist etwas sinnvoll, soll es erlaubt sein. Deshalb ist gegenüber den Gemeindeleiterinnen und Gemeindeleitern der Begriff «Erlaubnis» durch «Auftrag» zu ersetzen. So kam es zur Sprache im Austausch mit dem Bischof und seinen Mitarbeitern. Die Teilnehmenden waren sich darin einig, dass die Pfarreien nicht losgelöst, sondern als ein Teil der Gesellschaft begriffen werden sollen und dass auch das Pfarreileben dementsprechend zu organisieren ist. Ebenso einig war man sich darin, dass die heutige Zeit insofern spannend ist, weil das Alte, eben «die Volkskirche», nicht mehr existiert und das Neue, das noch nicht vorhanden ist, jetzt kreativ gestaltet werden kann.

Im Endergebnis war der Pastoralbesuch des Bischofs für Mitarbeitende – das muss man auch offen sagen – ernüchternd und teilweise auch desillusionierend, weil sich eben an Amtsverständnissen und auch an Machtstrukturen der Kirche trotz des Personalmangels so schnell nichts ändern wird.

Genau vier Monate nach dem Bischofsbesuch, am 12. September, kam das ans Tageslicht, was viele schon im Voraus befürchtet hatten: die erschütternden Ergebnisse der Missbrauchsstudie. Uns allen wurde dann schmerzhaft bewusst: Unsere Kirche hat ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Ob die Kirche mit ihren Angeboten noch zeitgemäss sei oder nicht, ist die eine Frage. Ob sie aber mit ihrem Wertekodex und mit ihrem Wertenarrativ noch glaubwürdig sei – ob es sie also überhaupt noch brauche –, das ist eine völlig neue Frage. Plötzlich hatte man ein Problem damit, sich öffentlich zur katholischen Kirche zu bekennen. Diese Situation wurde und wird nach wie vor in den Pfarreiteams als sehr belastend empfunden. Bei einzelnen Kollegen gab es auch belästigende, angreifende und vorwurfsvolle Anrufe mit Fragen wie «Wie kann man für eine pädophilen Organisation überhaupt noch arbeiten?».

Als Pastoralraum sind wir dann im September der «Allianz Gleichwürdig Katholisch» beigetreten. Das ist eine gesamtschweizerisch-reformkatholische Organisation und versteht sich als offene Projektgemeinschaft. Mitglieder dieser Allianz sind Privatpersonen, aber auch Einzelpersonen, die Organisationen angehören wie dem Schweizerischen Katholischen Frauenbund, der Jubla, dem Verband katholischer Pfadi und so weiter. Das Ziel dieser Allianz ist eine glaubwürdige, transparente Kirche, in der Gleichberechtigung herrscht – also eine Kirche, die Macht und Verantwortung teilt und ernsthaft gegen Missbrauch vorgeht.


29. November 2023 | Samuel Behloul